Nachwort

Nachwort

Gedanken über das Bühnenstück Dissoziation oder Die lesbischen Löwinnen[1]

Wittgenstein “limits the task of philosophy to that of recognizing the inevitable insanity of language” (Norman O. Brown: Life Against Death, page 71).

Im Wesentlichen geht es um die Dissoziation zwischen Wort und Ereignis.

Was zählt ist das konkrete Ereignis_ das, was wirklich geschieht.

‘On the whole’, so Bertrand Russell, ‘all acts ought to be judged by their effects’. ‘Theoretisch bestand das Ziel der Inquisition in der Seelenrettung’ (Lea/Szasz)_ praktisch landete man auf dem Scheiterhaufen.

Wie wir das Geschehen (Tat, Ereignis) verstehen/beurteilen, ist in der ‘verkehrten Welt’ (Marx), kraft des Wortes verkehrt worden: Die Hohe Zahl der Leichen als Zeichen der Anständigkeit, zum Beispiel (Himmler, Dissoz. Seite 21): Unmittelbare Kontinuität religiöser Lehre:

“So hoch steht nämlich die Lehre Christi, daß alle Pflichten und sittlichen Bande dagegen gleichgültig sind… Eine Abstraktion von allem, was zur Wirklichkeit gehört, selbst von den sittlichen Banden” (G.W.F. Hegel: Philosophie der Geschichte, Reclam, Seiten 450, 451).

Es geht um das tägliche Drama der Lüge als Verkehrung: Orwells ‘War is peace. Freedom is slavery’ etc. ‘Humanitarian intervention’ etc.

Es ist das Wort der Herrschenden_

“The reproduction of labor power requires… a reproduction of its submission to the rules of the established order, i.e. a reproduction of submission to the ruling ideology” durch die Handlanger der Herrschenden, “[who] provide… the domination of the ruling class ‘in words'” (Louis Althusser)_

und die Herrschaft des Wortes.

‘Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort’ (Das Neue Testament)_ ‘Gott ist immer der Verbündete der Herrschenden’ (Erich Fromm).

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Es ist die Herrschaft des Wortes (language)_

“[as] the latest developed function for social adaptation” (Andrew Crowcroft: The psychotic, page 21)_

über Ereignis:

“Kennzeichnend [ist], daß dieser Gott zuerst spricht, und durch sein Sprechen geschieht es_ als Folge des Sprechens” (C.F. Weiazsäcker: Bewußtseinswandel, Seite 210). ‘Und Gott sprach: es werde Licht!, und es ward Licht’ (1 Mose 1: 3).

Das Ereignis entsteht hier aus der Sprache. Gott als die Ausgeburt des ausbeuterisch-herrschenden Geistes setzte als Herrschaftstechnologie (teile und herrsche) Feindschaft ‘zwischen dir und dem Weibe’ (Genesis 3:15), Krieg aller gegen alle_

Gott erhebt Einwände dagegen…, daß die menschliche Rasse geeint wird (Fromm)_,

peitschte mit seinem Wort von oben herab und etablierte sich als Fremdkörper par excellence in der Seele.

Durch die Vereinigung der Menschen, hingegen, entsteht die Sprache aus dem Ereignis. ‘Malinowsky hat gezeigt, dass die Sprache in ihren primitiven Formen vor dem Hintergrund menschlicher Betätigung und als ein Modus menschlichen Verhaltens in praktischen Dingen betrachtet werden soll. Saussure meint, wenn er über Symbol spricht,…’es hat die Eigenschaft, nie völlig willkürlich zu sein. Zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten ist das Rudiment eines natürlichen Bandes da’. Die Anfänge der Sprache gehen also auf die Laute Zurück, die die Urmenschen zur Koordinierung ihrer Tätigkeit von sich gaben. Sie ist eine horizontal-vereinigende Sprache, entstanden aus der unmittelbaren zwischenmenschlichen Praxis. Das überleben eines jeden ist bedingt durch das Überleben aller. Der Libidohaushalt eines jeden vermengt sich mit dem der Gemeinschaft.

Hierzu: ‘Der Mensch ist im wörtlichsten Sinne ein zoon politikón, nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann’ (Karl Marx).

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“Gott redete alle diese Worte. In den Büchern des Gesetzes ist es durchweg der Herr, der spricht” (Bertrand Russell).

‘Durch eine Art von Diffusion oder Infektion hat sich der Charakter der Heiligkeit, Unverletzlichkeit, der Jenseitigkeit… auf alle weiteren kulturellen Einrichtungen, Gesetze und Verordnungen ausgebreitet’ (Freud). Und ‘der Calvinismus betonte…, der Mensch müsse immerzu versuchen, nach Gottes Wort zu leben’ (Fromm). Es ist ‘die Geschichte der Vorstellungen vom Göttlichen…, angefangen von der freien, unverantwortlichen Gewalt’ (Georges Bataille). ‘Schon wenn die Sprache in die Geschichte eintritt, sind ihre Meister Priester und Zauberer. Wer die Symbole verletzt, verfällt im Namen der überirdischen den irdischen Mächten… Die Macht ist auf der einen, der Gehorsam auf der anderen Seite’ (Horkheimer/Adorno).

Die durchgelassenen Entitäten sind die von den in der Sprache des wort- und machthabenden Sprechers operierenden Wert- und Urteilszentren zensierten Entitäten.

‘We do not, however’, so Karl Popper, ‘have to accept as true the theories that are incorporated in language, even though this fact may make it difficult to criticise them’.

In Ideologien verhüllt, sind sie die uns aufgezwungenen Interessen des herrschenden Geistes_

‘Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken’ (Marx/Engels)_,

wie auch Triebe Herrschaftsprodukte sind.

Freud hat, so Marcuse, ‘die Schicksale der Triebe aus dem Schicksal der Herrschaft abgeleitet’. ‘Triebregulierung, die allen historischen Formen der Souveränität und der Ausbeutung vorausliegen’ (Habermas).

‘Die Götter durch Opfer zu versöhnen, ist weit verbreiteter religiöser Brauch’ (Karen Horney). Es ist der seelische Virus Gott_

Die Masse hat Gott in sich aufgenommen (Freud/Marcuse)_,

der sich, mittels ‘Feuer und Schwert’ (Horkheimer/Adorno),  als Glauben etabliert und wirkt als innerer Sklaventreiber_ as ‘the sheep liver trematode’ in the brain of the ant prompts the ant to ‘self-sacrifice’[2].

‘The gods exist to receive gifts, that is to say sacrifices, the gods exist in order to structure the human need for self-sacrifice’ (Norman O. Brown). The gods exist to exploit: ‘Soziale Unterschiede [sind] von Gott gewollt’ (Russell)[3].

Der zwischenmenschlichen Horizontalität steht die göttliche Vertikalität, dem Sein des Menschen das göttliche ‘Gegensein’, gegenüber.

Dort entstand das Wort aus dem Ereignis. Hier, in der “Geschichte der Macht” (Rita Bischof in Georges Bataille: Die psychologische Struktur des Faschismus, Seite 99), entsteht das Ereignis aus dem Wort.

“Die antike Weltdeutung stellte sich in Religion, in Philosophie und in Poesie ahnungsvoll oder bewußt auf die bildliche Anwendung der Sprachwörter, auf die Einsicht, daß das Wort anders aufgefaßt werden müsse als wortwörtlich, auf die Allegorie, wie man das nannte; die jüdisch-christliche Weltdeutung dagegen unterwarf sich den überlieferten Wörtern und glaubte sie immer buchstäblich verstehen zu müssen” (Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendland). Vgl ‘Aphasie’.

Die Gesellschaft [im Gottesstaat als der ‘herrschaftsmäßigen Kultur’] ist… die negative Totalität aller gegebenen menschlichen Beziehungen (einschließlich der Beziehungen zur Natur’. Diese Gesellscahft ‘ist dem Todestrieb in einer seiner brutalsten Formen ausgeliefert’ (Marcuse).

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Die Herrschaftsverhältnisse werden internalisiert und als herrschende psychische Entität, Gott, externalisert: “Religion perceives the repressed only in the form of projections…; the unconscious self is perceived but in an alienated form, as the not-self”[4]. So wird in diesem Hin-und-Her der Projektion der Introjektion, in dem “geschlossenen Universum der welthistorisch siegreichen Vernunft des Abendlandes”[5]_ in der christlichen Welt ohne Außen (Hegel)_ die “vollständige Anpassung des Subjekts an die verdinglichte Autorität der Ökonomie”_ money = visible god (Shakespeare)_ als der “Gestalt der Vernunft in der bürgerlichen Wirklichkeit”[6] gewährleistet.

Es ist die göttliche Sprache_

das Bündel Geld-Gott: Money complex, religious complex…, ‘two forms of human self-alienation’ (Brown)_

als die uns von oben her oktroyierte Herrschaftssprache.

Gott als die Ideologie der Gewalt trägt als die intrapsychische Seite eines ‘Hebels’ die ungeheuerliche Last der sozialen Repression auf der anderen Seite des Hebels.

So wirkt die göttlich sprechende Sprache_

‘Die Sprache spricht’ (Heidegger)_,

entfremdend/selbstentfremdend durch die Sprecher dieser Sprache.

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Das Einfügen ein und desselben Parameters in verschiedene, zumal antagonistische, Konstellationen_

In unserem Diskurs, z. B.: ‘Du, komm sprich von den schönen Löwinnen…’ in folgenden drei Episoden: A, mit Blumen in der Hand, macht 1 den Hof. 1 wirft sich schreiend auf den Toten. B gurgelt_

ist zum einen Sensibilsierung des Rezipienten, um außerhalb des Theaters auch die listig zusammengesetzten Disparitäten zu durchschauen. Zum anderen zielt es darauf ab, um die Sprache, dh die in ihr enthaltenen Ideologien, zu zersetzen: Aufhebung der Semantik, Befreiung von Ideologie (Ent-Ideologisierung), Entfremdung der entfremdenden Sprache, Negation der Negation.

“Negation” as “a fundamental principle in language is… a derivative of the death instinct” (Freud/N.O,Brown: Life against Death, page 69). Es ist die Sprache des Gegenseins: ‘die negative Totalität aller gegebenen menschlichen Beziehungen (einschließlich der Beziehungen zur Natur)’_ ‘Hass auf das Lebendige’ (Wilhelm Reich); ‘Hass gegen erfülltes Leben’ (Horkheimer/Adorno).

Bezweckt wird das Revitalisieren des verkümmerten biologischen Kerns und der durch das Wort unterdrückten, unbewußt gemachten, lebendigen Schichten_ bezweckt wird das Bewusstwerden des von Gott verordneten ‘Unglücks’_

“Unglück… als ein notwendiges gewußt, zur Vermittlung der Einheit des Menschen mit Gott” (Hegel)_

und das Ende-Setzen dem Tod-im-Leben, auf die Aussicht von Leben-im-Tod: Verkehrung der ‘verkehrten Welt’.

‘The breakthrough of the unconscious carries with it… a social revolution’ (Erich Fromm).

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Bekanntlich durchschauen Aphasiker die Lüge, weil Emotionalität, Spontaneität, Empathie (’empathische Verbundenheit’), Sensibilität, durch ‘Schädigungen der höheren Hirnzentren’ als der Sitzstätte der Sprache (als dem Wort Gottes): der letzt-entwickelten Funktion zur sozialen Anpassung_

“Undurchdringliche[] Einheit von Gesellschaft und Herrschaft” (Horkheimer/Adorno)_,

nicht unterdrückt sind.

Bei Aphasie versteht der Patient die Bedeutung der Wörter nicht. Er versteht jedoch, was gesagt wird, ‘wenn die Signale, die normalerweise das Sprechen begleiten, vorhanden sind: Ton und Tonfall der Stimme, die Art der Betonung, Gesichtsausdruck, Gestik, Körperhaltung’. Denn bei diesen Patienten, gerade wegen der ‘Schädigungen der höheren Hirnzentren’, die ‘Tiefensensibilität’ frei und unbelastet durchkommt. ‘Ich hatte manchmal das Gefühl’, so der Neurologe Oliver Sacks, ‘daß man Aphasiker nicht belügen kann. Sie erkennen die Wörter nicht, also kann man sie auch nicht mit Wörtern täuschen’ (Aus dem Buch von Arno Gruen: Der Wahnsinn der Normalität).

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Hitler-Szene

(wie in der 1970-Afführung)

‘Wenn Ausländer Adolf Hitlers Auftritte in den Wochenschauen beobachtet haben’, so Alice Miller (1983), ‘konnten sie den Jubel und die Wahlen von 1933 nie begreifen. Sie hatten es leicht, seine menschlichen Schwächen, seine aufgesetzte, künstliche Sicherheit, seine unwahren Argumente zu durchschauen… Für die Deutschen war das viel schwerer… Der Jubel für Hitler ist nicht nur aus seinen Versprechen verständlich…, nicht aus ihrem Inhalt, sondern aus der Form der Darbietung. Es war gerade die theatralischen, ja für einen Fremden lächerliche Gestik

[‘Sacks schildert, wie er einmal die Aphasiker beobachtete, als diese ‘den Beginn einer Fernsehanaprche von Präsident Reagan’ sahen, laut lachten. ‘Der Präsident wird gewöhnlich als eindrucksvoller Redner anerkannt_ aber bei den Patienten erregte er ganz offensichtlich nur Gelächter… Auf Grimassen, auf Falsches oder Unrichtiges im Auftreten oder in der Körperhaltung reagieren Aphasiker mit außergewöhnlicher Sensibilität… Die Grimassen, das Theatralische, die Gesten…  des Präsidenten wirkten… vorgetäuscht. Sie reagierten auf die eklatanten, ja grotesken Ungereimtheiten und Unaufrichtigkeiten. Sie ließen sich nicht irreführen’ (zitiert nach Gruen).

Es ist die christliche Lobotomie_ ‘Aufgeben der Natürlichkeit’ als ‘Moment der göttlichen Idee’ (Hegel)_, Trennung vom biologischen Kern_

Trennung von sich selbst und von Mitmenschen_ ‘Das Christentum’ hat ‘die Selbstentfremdung des Menschen von sich und der Natur theoretisch vollendet’ (Marx)_,

Entzweiung des Gemüts (Hegel), Trennung von ‘Amt und Person’ (Luther), Entwurzelung, Entfremdung, um, zwecks Ausbeutung, entfremdete Arbeit leisten zu können: Ein ‘Sein für anderes’ zu sein (Rita Bischof): Produktion des christlich ‘abstrakten Menschen’ (Hegel) als dem fluktuierenden Seienden unterm Befehl.

Ein Umstülpen der Verhältnisse ist das Gebot: Zersetzen des Fremdelements par excellence, um den Bruch mit sich selbst, mit dem Mitmenschen und der Natur_ “Forderung einer Diskontinuität zwischen Mensch und Natur, die das christliche Denken für wesentlich h(ä)lt” (Claude Lévi-Strauss)_ aufzuheben (Nietzsche: “Wann werden wir anfangen dürfen, uns Menschen mit der reinen, neu gefundenen, neu erlösten Natur zu vernatürlichen?”), der Spontaneität, Empathie, Humanitas, die durch Ideologien (Gott als die Essenz der Herrschaft ist die Ideologie aller Ideologien) verschüttet sind, freien Lauf zu lassen_ ‘Die analytische Theorie’, so Freud, ‘will nicht auflegen…, sondern wegnehmen’_, die Unmittelbarkeit wieder walten zu lassen],

die den Menschen so gut vertraut war und deshalb mit einer solchen suggestivkraft auf sie wirkte. Unter dieser Suggestion steht jedes kleine Kind, wenn sein großer, bewunderter, geliebter Vater mit ihm redet. Was er dann sagen mag, spielt keine Rolle. Wichtig ist, wie er redet. Je größer er sich aufbäumt, um so mehr wird er bewundert’.

‘Je größer und ragender ich Gott mache’, so Goebbels, ‘desto größer und ragender bin ich selbst’.

Das

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