KredOde Text zu TopoKredo

Iraj Schimi

TopoKredo

Bühnenessay für Streichquartett

und einen Schauspieler

KredOde[i], der gesprochene Text zu TopoKredo

Sprecher– Wir sind Streicher.

– Oh ja

– aaaaaa

– haaaaa

– iiiiiiii

– Streicher

– Gewalt ist die Methode, Betrug gehört dazu.

– Greifen, greifen, hingreifen.

– Richtig greifen,

– mitgreifen,

– begreifen.

*

– Betrug…, Gewalt…, so vertraut, daß es nicht mehr bewußt wird.

*

– Lügen ist schwer libidinisiert worden. Es ist erotisch geworden, mit Lust verquickt.

*

– Methodisch.

*

– Systematisch.

*

– Verbot der Lust…, Entstehung der Schuldgefühle bei Lust-Empfindung.

*

– Unmöglichkeit der Liquidierung der Lust als Seinsphänomen…, daher versteckter Lustgenuß.

*

– Verstecken heißt lügen. Lustgenuß im Versteck libidinisiert die Lüge.

*

Gg1- Gewalt.

Vc- Betrug.

Br- Ausbeutung.

Gg2- Verbrechen.

***

Sprecher

A.

Malinowsky hat uns gezeigt, daß die Sprache in ihren primitiven Formen vor dem Hintergrund menschlicher Betätigung und als ein Modus menschlichen Verhaltens in praktischen Dingen betrachtet werden muß. Saussure meint, wenn er über “Symbol” spricht, “… es hat die Eigenschaft, nie völlig willkürlich zu sein. Zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten ist das Rudiment eines natürlichen Bandes da”.

Malinowsky schreibt: “…, daß jeder Laut… der Ausdruck eines Gefühlszustandes ist; daß er für die umgebenden Menschen  eine bestimmte Signifikanz hat; und daß er mit der äußeren Situation korreliert ist”.

B.

Die Anfänge der Sprache gehen also auf die Laute Zurück, die die Urmenschen von sich gaben, als sie zusammen, bei der Bewältigung der Natur, arbeiteten (Fischen, Jagd, etc.) und diese Laute zur Koordinierung ihrer Tätigkeit benutzten. Es half zu koordinieren, an welchen Stellen ein Gegenstand, der von einigen Menschen gleichzeitig bearbeitet oder benutzt wurde, zu greifen war.

C.

So wie die “Greifstellen” am gemeinsam benutzten Gegenstand, die die Kommunikation der Urmenschen und ihr Überleben ermöglichten, haben sich die abstrahierten Erfahrungen als Be-Griffe in der Sparache niedergeschlagen.

Begriffe sind also die sprachliche Äquivalenz zu “Greifstellen” und sind genauso notwendigerweise aus dem praktischen Zusammenleben von Menschen entstanden, um dieses zu ermöglichen. Es sind die primären Begriffsbildungen wie Vertrauen, Gleichheit, Liebe, Vernunft und Freiheit in ihren Urformen_ die notwendig inhärenten Aspekte menschlichen Zusammenseins, deren Mangel notwendigerweise zur Verkümmerung und Hemmung menschlicher Entwicklung führt: den Naturphänomenen entgegengesetzte, dem Zwischenmenschlichen entsprungene Eigenschaften.

D.

Durch die großgewordenen düsteren  Schatten der Gewalt und der Ausbeutung aber, deren abstraktester Niederschlag sich im Begriff “höhere Gewalt” verkörpert, haben sich die Zustände menschlichen Zusammenseins seither sehr gründlich  verändert. Und die Erfog-Wissenschaft, die Psychologie, die sich anschickte die menschliche Seele zu erforschen, griff in die so entstandenen Menschen ein und konsolidierte diejenigen Begriffe, die schon als gesellschaftliche Tatsachen existierten: diese sind die sekundären Begriffsbildungen wie Durchsetzungstrieb, Realitätsprinzip und dergleichen_ entdeckt in einem auf Gewalt, Raub und Betrug basierten Gesellschaftssystem_ die der Zementierung und Perpetuierung des Verbrechens durch Vertreter der Gewalt dienen.

E.

Eine Verherrlichung der Gewalt also, die auch das Wesen der wissenschaftlichen Institutionen, das Wesen der institutionalisierten Wissenschaften ausmacht.

Es ist zu bemerken, daß es sich bei dem Realitätsprinzip nicht etwa um die natürlichen Prozesse handelt, die für alle Menschen gleich sind, sondern um die gesellschaftlichen Realitäten, wie Nahrung, Erziehung und Freiheit, die für verschiedene Menschen verschieden sind.

F.

Geläufig und vertraut, wird das institutionalisierte Verbrechertum nicht als solches wahrgenommen.

G.

Es ist von entscheidender Bedeutung herauszufinden zu welchem Zweck und aus welcher Genese Begriffe, wie auch Gesetze, entstehen.

***

Geige 1- Um das gestörte Verhältnis der Menschen zu regeln,

Geige 2- brauchen diese eine Stelle,

Bratsche- außer sich selbst,

Cello- die diese Aufgabe übernehmen soll

Gg 1- und das ist der Staat.

Sprecher– Man sagt’s so.

*

Gg 1- Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Menschen aber

Gg 2- erübrigt die Funktion des Staates.

Sprecher– So ist es.

*

Br- Je vertrauensvoller die zwischenmenschlichen Beziehungen

Vc- desto kleiner die Rolle des Staates.

Gg 1- Die totale Konfliktlosigkeit der Menschengemeinschaft

Gg 2- führt zur totalen Aufhebung des Staates.

Sprecher– Ein guter Staat pflegt sich selbst aufzuheben.

Br- Das Wesen des Staates ist

VC- das gestörte Verhältnis des Zwischenmenschlichen.

*

Gg 1- Um einen Staat überhaupt hervorzurufen,

Gg 2- müßte man erst die Beziehungen der Menschen zerstören.

Br- Je zerstörter die zwischenmenschlichen Beziehungen,

Vc- desto stärker ist der Staat.

*

Gg 1- Ein Staat, der stark sein möchte,

Gg 2- müßte sich  darum bemühen

Br- die Beziehungen der Menschen

Vc- immer schwieriger und schlechter zu machen:

Gg 1- die Menschen von einander entfernen,

Gg 2- Widersprüche schaffen,

Br- Zustände der verwirrung,

Vc- wo Menschen sich nicht auskennen,

Gg 1- und um den Widerspruch fortlaufend am Leben zu erhalten,

Gg 2- bzw. ihn aufzuheben,

Br- sie sich gegenseitig anlügen müßten.

*

Sprecher– Routine.

*

Sprecher– Dienstplan.

*

Gg 1- Widerspruch ist der Ursprung des Staates,

Gg 2-denn dem Widerspruch entspringt Lüge

Br- und mit Lüge wird Feindschaft erzeugt

Vc- und somit Konflikt

Gg 1- und die Notwendigkeit der Aufstellung des Staates.

Gg 1- Der Ursprung des staates ist, so gesehen, die Lüge.

Gg 2- Ein Staat, der sich um seinen weiterbestand bemüht,

Br- nährt den Boden der Lüge,

Vc- macht Entwürfe,

Gg- die das Lügen als unumgänglichen Bestandteil

Ge 2- der menschlichen Verhaltensweisen

Br- in die soziale struktur

Vc- einflicht.

Spr- Und so zeichnet sich der Staat als intrigantes Element aus.

*

Gg 1- Er zerstört das Zwischenmenschliche,

Gg 2- immer tiefer,

Br- annektiert,

Vc- eröffnet sein Amt,

Gg 1- und schafft sich

Gg 2- Arbeitsplätze.

*

Br- Dem Ausmaß der zwischenmenschlichen Zerstörung

Vc- entspricht das Ausmaß der aufgestellten Beamten.

Sprecher– Und so zwingt er auf, dem Zwischenmenschlichen, sein parasitäres Dasein.

*

Gg 1- Wahrhaftigkeit und gegenseitige Hilfe sind dem Staate im Wege;

Gg 2- denn sie machen ihn überflüßig.

*

Br- Gegenseitige Lüge und Feindschaft sind im Sinne des Staates;

Vc- denn  sie ermöglichen ihn.

Sprecher– Das Sein der Lüge ermöglicht das Sein des Staates und das Sein des Staates erfordert das Sein der Lüge.

*

Sprecher– Verarmen heißt arm werden. Verbluten heißt Blut verlieren und sterben. Verbinden heißt eine Bindung herstellen. Verbrechen heißt mit etwas brechen. Dies Etwas ist die wahrheit. Verbrechen ist es, wenn man mit der Wahrheit bricht.

*

Gg 1- Lügen ist der Wahrheit Gewalt antun.

Gg 2- Alles Böse stammt von Gewalt.

Br- Gewalt ist Böse

Vc- und das Böse ist die Gewalt

Gg 1- und die Gewalt will lauernd heraus

Gg 2- und tätig werden,

Br- ruht nicht,

Vc- ist konspirativ und versucht zu konspirieren.

*

Gg 1- Das Böse ist das Unglück.

Sprecher– Das Erzeugen von Unglück ist das Erzeugen von Böse.

Gg 2- Denn was glücklich ist

Br- ruht in seinem Glück

Vc- vergißt sich selbst, konspiriert nicht; denn er ist bei sich selbst,

Gg 1- in totaler Übereinstimmung mit der Welt,

Gg 2- in totaler Übereinstimmung mit sich selbst,

Br- pulsiert

Vc- luzide.

Gg 1- Der Tischler tischt,

Gg 2- der Friseur frisiert,

Br- der Bauer baut,

Vc- der Schriftsteller schreibt.

Sprecher– Der Streicher streicht.

*

Sprecher– Der Verbrecher darf aber nicht verbrechen.

***

Sprecher

I.

Denn die Unbegreiflichkeit des Seins, die ein gemeinsam menschliches Problem darstellt, ist durch eine verräterische Lösung “höhere Gewalt” vertuscht und der Bewußtwerdung entfernt worden.

II.

Das Bewußtsein, vor dem ein grenzenloses Feld von wahrheit als Einsamkeit und Ungewissheit, Verantwortung und Sorge lag, ist verraten worden.

III.

Die Grenzsetzung der Wahrheit durch den Begriff “höhere Gewalt” ist die verbrecherischste Tat, die zur Verdunkelung der menschlichen Seele geführt und diese zum Stillstand gebracht hat.

IV.

Die Entmündigung und Bevormundung des Menschen, die Deprivation seiner freien Konfrontation mit der Welt, indem die höhere Gewalt die Verantwortung übernahm und sich wie ein Ungeheuer zwischen Mensch und Welt hinschob, haben den Menschen davon abgehalten seine zwischenmenschlichen Wertbegriffe dem nicht zu bändigenden Sein gegenüber aufzustellen und sich diesem gegenüber durch seine Vernunft und Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe zu behaupten.

V.

Die menschliche Gemeinschaft, die einheitlich dem Sein gegenüer stand, wurde somit zurstückelt, verraten. Eine Kolonialisierung und Machtergreifung durch höhere Gewalt findet statt, die dem Menschen die menschliche Würde, die sich in Freiheit und Selbstbestimmung, in Verantwortlichkeit, im Trotz, im Entzücken, im Staunen, in Ungewissheit, Offenheit und Einsamkeit offenbart, raubt.

VI.

Die dynamische Vitalität der Verantwortlichkeit, die in Krisensituationen entsteht, die der Mensch besaß, als er noch der Ungewissheit und Unendlichkeit des Seins und des Nichts begegnete, verschwand durch den Schatten der höheren Gewalt_ eine abstrakte Form der personifizierten menschlichen Gewaltherrschaft_, der den Menschen von seiner wahrheit abschnitt und ihn unterjochte, ihn, mit Zwängen und Verboten festgenagelt, invalidierte.

VII.

Das Sein mit seiner rätselhaften Schönheit, eine echte Herausforderung, die die Gesamtenergien des Menschen zur totalen Befriedigung absorbieren könnte, wurde durch das Ungeheuer höhere Gewalt verdeckt, dem Menschen vorenthalten.

VIII.

Höhere Gewalt offenbarte sich durch seine Vertreter und der Mensch wurde den heiter debilen Fassaden der höheren Gewaltvertreter ausgesetzt, die ihm über das Jenseits Nachricht brachten.

IX.

Das Gegenüber soll heute gründlich neu definiert werden.

X.

Zurückgedrängt von höherer Gewalt projiziert der Mensch seinen Kummer und sein Leid als Aggression auf den Nächsten. Das Rätsel des Seins entwürdigt, heruntergezogen und profaniert, entpuppt sich die höhere Gewalt als Urgewalttäter, der dem Menschen die Urneurose brachte, ihn urerniedrigte und in schmutziger Art verriet.

XI.

Der Verrat bestand in der Enttranszendierung der menschlichen Kräfte, die beim Auftauchen der höheren Gewalt entstand: die Destruktivität des Menschen, als ihm die höhere Gewalt seinen menschlichen Weg zum Mitmenschen versperrte, zu seiner wahrheit und Freiheit, zu seinem Ursprung, zu seinem beweglichen Geiste, zu seiner kosmischen Einsamkeit, zu seinem Zorn vorm Rätsel des Seins, zur Unendlichkeit und Ungewissheit angesichts seines dem Nichts gegenüberstehenden Daseins.

XII.

So ist der Mensch der höheren Gewalt, der Urneurose anheimgefallen.

XIII.

Unterjocht durch die höhere Gewalt, muß sich der Mensch Entbehrungen und Diensten unterziehen und seinen Mitmenschen außerachtlassen, den er lieblos, skeptisch, brutal, böse behandelt und ermordet.

XIV.

Die Befreiung von der Urneurose ist das Abrechnen mit dem Urgewalttäter, das Abschneiden des Furunkels. Denn das vereiterte Verhältnis zwischen Menschen geschah durch die Zerschlagung des Vertrauens und die Verlegung dieses außerhalb seiner. Die schier unmöglich gewordene menschliche Solidarität ist die Folge seiner Bevormundung und seiner Verantwortungsberaubung.

XV.

Die Entfaltung und Entwicklung des gesamtmenschlichen Seins ist die stärkste Quelle des Friedens;

XVI.

jene Energien, deren Sublimierung und Transzendenz durch höhere Gewalt blockiert, in Form von Regression, Aggression und Destruktivität auf die Mitmenschen und auf sich selbst, ja auf die Welt schlechthin gerichtet worden sind.

XVII.

Die Entfremdung des Menschen durch die höhere Gewalt, welche ihm seine legitimsten  menschlichen  Eigenschaften und  Rechte   demolierte, wodurch er seine Identität verlor, kann nur durch die volle Bejahung seines Personganzen wieder gutgemacht werden. Hier und jetzt. Durch eine totale Befreiung und Autonomie, durch die Wiederherstellung seines unmittelbaren Kontaktes zum Mensch und zur Welt.

XVIII.

In der Unmittelbarkeit und im Einfühlen, in der Berücksichtigung des Interesses und Bedürfnisses des Anderen besteht die Liebe, die in brutalster Form zerschlagen worden ist.

XIX.

Denn, die Ureinsamkeit, in der der Mensch seinen Nächsten suchte, die Ungewissheit, wodurch der Mensch offen war, die Freiheit, durch die der Mensch verantwortungsvoll war, die Selbstbestimmung, die den Menschen tolerant machte, sind zerschlagen worden.

XX.

Unfähig zum echten Leiden durch Vertuschung und Verdrängung des unbewältigenden Seins, projiziert der Mensch seine Aggression auf den  Nächsten; denn das Unverständliche produziert Leid und Aggression. Das Negieren des Unverständlichen verdrängt Leid und Aggression, die enttranszendiert, im zwischenmenschlichen Bereich auftauchen, auf sich selbst und auf den Nächsten projiziert werden.

XXI.

So wird “Liebe deinen Nächsten” eine unmögliche Herausforderung; denn die Zustände sind so programmiert, daß du deinen Nächsten eher töten müßtest, um dich von ihm nicht töten zu lassen.

Das Hinstellen des Unmöglichen als Voraussetzung und Ausgangspunkt der seelichen Struktur ist ein verräterisches Netz, ein Feld des Widerspruchs, eine Falle, wo der Mensch hingeworfen, wo er eingefangen ist.


[i]Kredo + Ode

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1 Response to KredOde Text zu TopoKredo

  1. StevUniozy says:

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